Mauerspringer oder wie ich den Kalten Krieg gewann
dokumentierte Erinnerungen
von Dieter Gessner
Warum erinnern?
Ego-Historie?
Die eigene Person für so wichtig zu halten, um sie zum Gegenstand persönlichen Erinnerns zu machen, anstatt kollektiver Erinnerung zu überlassen - ein Beitrag zur modischen Ego-Historie? Bei Gefahr, voll in die Wahrheitsfalle zu laufen, da das Gedächtnis als persönlicher Speicher sich seine „eigene Wahrheit“ schafft, „...Wahrheit, so wie der Erinnernde sie erlebt zu haben glaubt“.
Zwischen meinen Büchern hängt eine Reproduktion von Max Beckmann „Selbstbildnis mit Horn“. Vor einem tiefschwarzen Vorhang steht im bunten Hausmantel ein melancholisch blickender Mann. Er hält ein Horn in der Hand. Sein Blick geht an dem Betrachter vorbei auf ein hinter diesem Liegendes, dem Betrachter nicht Einsehbares. Soll er spielen? Etwas mitteilen? Und wenn ja, was? Ja, er soll sich erinnern. Er soll sich von „vorgegebenen Fixierungen „ frei schreiben, vom „Verbiegen der Persönlichkeit durch verordnete Glücksvorstellungen“, frei machen für den Aufbruch in ein „Reich der Freiheit“.
Jahrgang 1940, hinein geboren in eine sich in „gut“ und „böse“ teilende Welt, die zweier Sprachen, zweier Ohren bedarf, um wechselnde Erwartungen und Anforderungen zu genügen. Beim Überschreiten der Frontlinie zwischen Völkern und Staaten ausgesetzt formenden/ deformierenden Kräften, um am Ende des Kalten Krieges „als Überlebender“ auf einem „geistigen und mentalen Trümmerfeld“ eines „parasitären Nachkriegs-System“ (-Peter Nadas) zu sich selbst zu kommen.
Dokumentiertes Erinnern: Facts and Figurs
Kein „Entwicklungsroman“, sondern ein Selbstbericht über ein privates Leben amalgamiert mit einer ambigen Öffentlichkeit.
Der „Apparat“ des Textes, Fußnoten und Anmerkungen mit Literaturhinweisen und O-Tönen will subjektiv inszenierte „Ego-Historie“ anhand von facts and Figures überprüfbar machen, Erinnerung „hard core“ dokumentieren. Ich selbst und meine Lebenszeugnisse sind die Quellen: Briefe, Ausarbeitungen, Fotos und vor allem meine über Jahre geführten Kalender und Tagebücher – alles immer wieder korrigiert durch Zeitzeugnisse. Diese Unterlagen haben die zahlreichen Umzüge mit wenigen Ausnahmen ohne größere Verluste überstanden. Aus der Kölner Zeit (erste Eintragung 3. Mai 1961) besitze ich eine Kladde. Darin finden sich neben Prosa (lose Gedanken über Gelesenes und Gehörtes) immer wieder Gedichte, Entlastungen für extreme Stimmungen und Spannungen, deren Anlaß sich aus der Distanze von über 40 Jahren nicht mehr dechiffrieren läßt. Hilfreich sind die von 1958 bis 1961 bruchstückhaft, von den 80er Jahren regelmäßig geführten Tagebücher. Nach Abschluß dieser Aufzeichnungen (eine Veröffentlichung ist noch ungewiß) werde ich das Material vernichten. Was wichtig war, ist in dem Bericht enthalten.
Meine Erinnerungen an Kindheit und frühe Jugend in Nordthüringen habe ich anläßlich meines 60sten Geburtstags in einem kleinen Geschichtenbuch „Erbesbär“ niedergeschrieben. Soviel der Einführung. In Berlin existieren seit 2011 Pläne für mein „Museum des Kalten Krieges“. Wie wird man den Menschen dieses Krieges ausstellen?
Warum erinnern?: Ego-Historie?, Dokumentieres Erinnern:Facts and Figures
I) Böhmen am Meer: Deutschböhmen, ...endlich auf den Punkt gebracht!, Troppau/ Oppava-verschwundene Stadt
II) Familie :Fragmente einer Familiengeschichte, Margarete, ihre vier Söhne und ich, Mein Vater,...weil wir wenig wissen, Mutter
III) Aus der Kurve getragen (1979/81): „...um sich schlagend“, Kurzer Hoffnungslauf, Der Geist aus der Waschküche, Ende mit Schrecken
IV) Wege und Abwege (1951-1958): Friedliche Rückkehr, Erzieher in Zeiten des Kalten Krieges, Verstolperter Start
V) Durchstarten (1958-1961): Wiederbegegnung mit einem Krieger, „Nachts schlafen die Ratten doch...“, Proletarische Unterwelt, Frank, O.D., Mittlere Reichweite, Here ans Being There
VI) Theater und Theaterwissenschaft (1961-1963): ...aus dem Geist des Kölner Hännes´chen Theaters, Vorhang
VII) Brotstudium (1963-1966): Stud. Jur, Student für das Höhere Lehram, „Plus de la Vie mois de Philosophie“, Paul Böckmann, fremder Meister
VIII) Studentenunruhen – am Rande: Als die Albertus Magnus Universtät in Rosa Luxemburg Universität umbenannt wurde, Gerhard Fricke: „Asche auf mein Haupt“, Kleine Revolte
IX) Woher das Geld kommt (1966-1968): Die Venus von Gönnersdorf, Doktorand, Domus Universitate
X) Darmstadt – hin und zurück (1968-1978): Nicht nur politische Provinz, Übersichtliche Personenanordnung, Mit gestopfter Trompete, Zeitgeschichtsschreibung
XI) Freunde, Kollegen und andere Menschen: Freunde, Kollegen, „Whipped up Cream“, H-UW, Gang zu einem Dinosaurier
XII) Angewandte Geschichtswissenschaft (1981-2005): Zeitgeschichte dokumentieren, Eine Fernsehdatenbank für den HR, „Genios“, Auf der Zielgeraden
XIII) Das wunderbare Jahr 89: „Hallo Dresden“, Die Wende, Das Jahr 1 und 2
XIV) „I said to my self“ (Reinigungsrituale): Bei mir selbst?, Theodor Schieder – zu Ende erzählt, Warum es bis heute keine Ohlendorf-Biographie gibt , Über falsche Propheten und große Dichter: Brecht zum letzten
XV) Kümmerer öffentlicher Belange: In der Großorganisation, Bürgerinitiative „Rettet den Reinheimer Teich“, „Kulturkreis Unterzent“, Kuratorium Unteilbares Deutschland XVI) Alles auf Null: Ein Wiedergänger, Alles im Lot?, Ego-Historie oder in der Kohorte „38/43“?